Das Regierungsprogramm 2017-2022

Zurück bis vor die Aufklärung

(I) Das Kleingedruckte

ÖVP und FPÖ haben zwei Monate lang an einem Regierungsprogramm gearbeitet. Das Ergebnis in Kurzfassung: 182 Seiten Lesestoff, durchmischt mit Prinzipien, Ideen, schwammigen Begriffen und Maßnahmen in Neusprech.

Im zweiten Absatz des Vorworts ist zu lesen: "Wir sind Weltmeister im Regulieren und im Einschränken von Freiheit und Selbstverantwortung." Und auch, wenn es heißt, das Fundament der von FPÖVP angestrebten Veränderungen "setzt sich zusammen aus der österreichischen Verfassung, der immerwährenden Neutralität, den Grundprinzipien der Europäischen Union, aber auch den Grund- und Menschenrechten, den bürgerlichen Freiheiten sowie den Rechten von Minderheiten", die letztlich gesetzten Ziele sprechen Kontrolle und Überwachung jeder/s Einzelnen und lassen Menschenrechte vermissen.

Überwachung versteckt die künftige Regierung hinter dem Begriff „Technologieoffensive“, Schritte zum Polizeistaat umschreiben sie als „innere Sicherheit“ und „verbesserte Rahmenbedingungen“, Studiengebühren werden als „Zugangsregelungs-Management“ beschrieben, Menschenrechte reduzieren sie auf „Rechte für Bürger“, ihre Arbeit "zum Wohle aller Österreicherinnen und Österreicher", nicht aber aller Menschen in diesem Land.

(II) Soziales

Die Verhandler*innen haben sich auf Formulierungen geeinigt, die von ihnen akzeptiert und als „Ergebnis“ vorgelegt werden können. Die Auslegung der gemeinsamen Formulierung durch die Regierungspartner in der konkreten Umsetzung wird zeigen, was alles ermöglicht wird: „Sie werden sich noch wundern, was da alles möglich ist“1.

Wie wenig sich das Regierungsprogramm an österreichischen Realitäten orientiert, zeigen die Auslassungen mehr als die in Text gefassten Vorhaben: „Wir sind Weltmeister im Regulieren und im Einschränken von Freiheit und Selbstverantwortung“ diskreditiert ein einigermaßen funktionierendes System sozialen Zusammenhalts. Die zunehmende Schieflage durch verschärfte Konzentration von Reichtum und Macht in den Händen Weniger, wird ausgeblendet.

Stattdessen wird formuliert: „Und unser Sozialsystem ist in eine Schieflage geraten, weil der Einkommensunterschied zwischen arbeitenden und nichtarbeitenden Menschen so gering ist, dass es nur noch wenige Anreize gibt zu arbeiten. Außerdem können sich viele Menschen von ihrem Lohn das Leben nicht mehr leisten und immer mehr Menschen wandern in unser Sozialsystem zu.“ „Nichtarbeitende Menschen“ sind nicht nur Rentiers, sondern vor allem Menschen, die keine Arbeit finden, von der sie anständig und ordentlich Leben können. Atypische, prekäre, befristete Arbeitsverhältnisse ohne Zukunftssicherung werden nicht benannt und die logische Konsequenz – Anheben der Einkommen für die untersten Schichten – wird nicht gezogen.

Sozialleistungen sind im Regierungsprogramm überhaupt negativ besetzt, sieben Mal werden sie erwähnt, einmal mit „erhöhter Treffsicherheit“, sonst ausschließlich mit Kürzungen verbunden.

(III) Die vielen Leer-Stellen

So sind die eigentlichen Absichten der Koalition im vorliegenden „Einigungsdokument“ nur begrenzt enthalten, vieles davon wird nur als Auslassung erkennbar.

(IV) „Prinzipen“

  • In den „Prinzipien“ gibt es keine Grund- und Menschenrechte: Bereits in “Unsere Prinzipien” wird anstelle grundsätzlicher, unteilbarer Menschenrechten, die jedem Menschen zustehen, ein "Verständnis von Verantwortung für die Schöpfung", das "über die Generationen hinausreicht" formuliert.
  • Bereits in den „Prinzipien“ wird Grund- und menschenrechtswidrig ein diskriminierender Graben zwischen hier weilenden Menschen und Bürgern gezogen: Schutz und Sicherheit ist nur „Bürgern“ „zu gewähren“.
  • Freiheit des Einzelnen, Verantwortung für eine “aktive Bürgergesellschaft” stehen an Stelle der gesamtgesellschaftlichen, solidarischen Verantwortung für das Wohlergehen aller, dem Schutz des Einzelnen, insbesondere an Stelle der Verantwortung für den Schutz und Förderung der Schwächsten der Gesellschaft.
  • Leistungsbereitschaft und Bedrohungsszenarien: Einerseits wird Leistungsbereitschaft und Mut zu Unternehmerischem Risiko gefordert, andrerseits hat Österreich seinen Bürgern Schutz und Hilfe in allen Bedrohungsszenarien zu gewähren. Unternehmerisches Risiko bedeutet das Risiko, das eigene (Rest-)Vermögen zu verlieren und mit einem Berg an Schulden über zu bleiben. Wie schaut der Schutz davor aus für jemanden, der seine Arbeit verloren hat und in die Selbstständigkeit getrieben wird?
  • Fairness und Generationengerechtigkeit ist kein Ziel, soll nicht erreicht sondern nur ermöglicht werden.
  • Diskriminierend ist die Definition der Familie, die nur in der Gemeinschaft von Mann und Frau mit gemeinsamen Kindern … Zukunftsfähigkeit garantiert. Die vom obersten Gerichtshof unlängst beschlossene Ehe für alle fehlt hier ebenso, wie die Rechte, der Schutz und das Wohlergehen aller Menschen im Land.
  • Kühn, herausfordernd und realitätsfern ist die Behauptung “Der nachhaltige Umgang mit der Natur und eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung sind keine Gegensätze, sie bedingen einander.”

(V) Überwachungspaket

"Weitergabe sicherheitsrelevanter Daten zur Kriminalprävention im Zusammenwirken mitden Bürgern: Vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen sollen die Lücken bei der Überwachung internetbasierter Telekommunikation geschlossen werden."
Diese Forderung kennen wir bereits unter dem Namen Bundestrojaner.

Hier scheint sich unter anderem der Einsatz von Staatlicher Schadsoftware ("Trojaner") zu verbergen, deren Problematik bereits mehrmals ausfuehrlich diskutiert wurde. Denn Kommunikationsüberwachung durch Schadsoftware bringt eine Vielzahl gravierender sicherheitsrelevanter, beweistechnischer und rechtlicher Problemen mit sich.

Aufgrund technischer Einschränkungen ist eine alleinige Überwachung von Kommunikation durch eingebrachte Schadsoftware unrealistisch. Vielmehr führt diese dazu, dass das überwachte System kompromittiert und gefährdet ist. Wir sehen darin einen tiefgreifenden Grundrechtsbruch. (Siehe auch: Stellungnahme Staatstrojaner (192/ME XXV. GP))

Im Programm ist die "Verbesserung der Prozesse der Zusammenarbeit zwischen BVT, Bundeskriminalamt und Heeresdiensten" angeführt. Wie dies genau vonstatten gehen soll, ist unklar. Es ist aus der Erfahrung zu vermuten, dass hier weitreichende Kompetenzen vergeben sowie gegenseitige Zugriffe zu Computersystemen eingeräumt werden sollen. Inwiefern diese Zugriffe auf die jeweils anderen Daten zulässig sind, bleibt fraglich.

Im Teil über "Gebiets- und Reisebeschränkungen für Gefährder sowie Einschränkung elektronischer Kommunikationsmittel bei Gefährdern" ist ein weiteres Mal nicht klar definiert, wer als Gefährder gilt und ab wann diese tief in die Privatsphäre eingreifenden Maßnahmen angewendet werden sollen. Derart schwerwiegende Einschnitte können nicht so ohne Rahmenbedingungen hingestellt werden.

(VI) Digitales

Eine inhaltliche Analyse kann nur unvollständig und punktuell erfolgen. Einige Anmerkungen zum Abschnitt "Innovationen und Digitalisierung", ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Bereits ein Kurzblick in die Wikipedia zeigt, dass "Innovation" kein selbstlaufender Prozess mit beliebigem Ergebnis ist. Der (österreichische) Nationalökonom Josef Schumpeter hat den Begriff in die Wirtschaftswissenschaft eingeführt: "Die Innovation ist ein willentlicher und gezielter Veränderungsprozess hin zu etwas Erstmaligem, „Neuem“" Dieser Gestaltungswille hin zu etwas erstmaligen, Neuem beschränkt sich im Regierungsprogramm auf eine Aufzählung unzähliger Einzelmaßnahmen, aus denen nicht erkennbar ist, was das "Neue" denn sein soll.

Im Kapitel "Innovation und Digitalisierung" wird Österreich auf "eine kleine, exportorientierte Volkswirtschaft, die sechs von zehn Euro auf den
internationalen Märkten verdient"
reduziert. Dementsprechend beschränkt sind auch die meisten Formulierungen dieses Kapitels.

Der "Digitalisierung" wird eine "alles transformierende Kraft eine Schlüsselrolle für den Innovationsstandort" zugeschrieben anstatt zu verstehen, dass Digitalisierung als Anwendung (neuer) Technologie gestaltet wird, und diese Gestaltung einer gesellschaftlichen Steuerung, einer Optimierung im Sinne der Betroffenen und Nutzer bedarf.

"Bestehende gesellschaftliche und wirtschaftliche Prozesse werden in den nächsten Jahren zu hinterfragen sein. Neue digitale Technologien wie künstliche Intelligenz, Robotik oder Blockchain werden noch nicht vorhersehbare Auswirkungen auf unsere Gesellschaft haben" ist eine wichtige Erkenntnis.

Wie können Chancen genutzt, Bedrohungen abgewendet werden? Nach welchen Kritierien, mit welchen Mitteln soll das gesteuert werden? Das fehlt im Regierungsprogramm. Erwartet die Koalition Lösungen durch die "Schöpfung" oder "den Markt" (möglichst unreguliert)?

Einige wenige Punkte sind konkret formuliert:

  • Die Forschungsquote soll 3,76 Prozent erreichen.
  • Ausbau einer koordinierten Sicherheits- und Verteidigungsforschung
  • eine Vielzahl von organisatorischen Veränderung lassen den Willen zur Straffung im Abwicklungsbereich ekennen,
  • One-stop-shops und "Once Only“-Prinzip sollen Prozesse beschleunigen und zu einer Beschleunigung von Amtswegen führen
  • 100 Mbit/Sekunde als Zwischenziel auf dem Weg zum Gigabit-Netzausbau
  • Unbürokratischer Prozess der Mittelvergabe mit klaren Kriterien
  • Integrierte Planung von fixem und mobilem Ausbau
  • Anhebung der Fördergrenze auf 100 Mbit/Sekunde
  • Pakt mit der Wirtschaft zum beschleunigten Breitbandausbau
  • Ziel: Glasfaser in jeden Neubau
  • Hersteller- und Technologieneutralität
  • Ziel für 2025: Landesweite Versorgung mit Gigabit-Anschlüssen, zusätzlich zur landesweiten mobilen Versorgung mit 5G

Gefährlich ist aber die Drohung mit der "Einrichtung eines digitalen Bürger- und Unternehmenskontos, mit dem unterschiedliche Behördengänge erledigt werden können": gibt aus im (noch geltenden) Datenschutzgesetz die strikte Trennung unterschiedlicher Behördenbereiche, um Grundrechtsschutz und Privatsphäre sicherzustellen kann mit diesem "digitalen Bürgerkonto" eine Zentralstelle für Kontrolle und Überwachung geschaffen werden, wie es auch in den laufenden Pilotversuchen zur digitalen Ausweisleistung ("Pilotprojekt „Digitale Identität") erkennbar ist. Anstelle einer technischen Absicherung ("privacy by design") kann eine organisatorische Absicherung nur unzureichenden und jederzeit widerrufbaren Schutz gewährleisten.

Die acht Seiten unter "Innovation und Digitalisierung" strotzen vor Marketing-Buzzwords und der Aufzählung unzähliger Einzelmaßnahmen, Hauptsache Digitalisierung, Spitzentechnologie, Excellenzorientierung und Unterstützung innovativer Unternehmen. Ein eigener Abschnitt ist dabei mit "Zieldefinition" überschrieben, beschreibt aber lediglich Absichtserklärungen zu Maßnahmen, ohne das der daraus erwartete Nutzen erkennbar wird.

Hier wird "Innovation um der Innovation willen" beschrieben, als ob "Innovation" es sich um kreative Versuche von Künstlern ohne relevante gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkung handelte, ein Vorgang, der von sich aus Zustände zum Besseren veränderte.

Immerhin gibt es auch Vorschläge zu Verbesserung des Datenschutzes, wie:

  • Klar definierte Rechtswege zur Löschung von Daten auf Antrag
  • Implementierung des Rechts der Bürgerinnen und Bürger auf Information, wer wann welche Daten genützt hat
  • Sicherstellung eines transparenten Verwendungsprotokolls der übermittelten Daten nur für die jeweilige Bürgerin bzw. den jeweiligen Bürger

Anstelle eines Transparenzgesetzes (Transparenz der Behörden) werden die Bürger transparent gemacht: "Transparenz des Bürgers über jene Daten, die über ihn öffentlich verfügbar sind (im Rahmen von oesterreich.gv.at)"

(VII) Fazit

Die landesweite Versorgung mit Gigabit sowie Ausbau von Glasfaserinfrastruktur als gesetzte Ziele sind einer der wenigen Lichtblicke des neuen Regierungsprogramms. Überschattet werden diese im digitalen Bereich durch stärkere Forderungen nach Massenüberwachung, Schritte zum privatisierten Polizeistaat sowie der Ausnahme von österreichischen Unternehmen von europäischen Datenschutzrichtlinien.

Doch selbst dies erscheint für uns, als Verein für digitale Bürgerrechte, nur als Bruchteil der Probleme, die Österreich in den kommenden Jahren zu bewältigen haben wird:

Das vorgelegte Papier erachten wir insgesamt als minderheitenfeindlich, rassistisch und diskriminierend. Sozialleistungen und Bildung werden eingeschränkt und dafür jede Art von Transparenz der neuen Regierung nullifiziert. Gleichzeitig werden Steuern, Meldepflichten sowie arbeitsrechliche Verpflichtungen von Privatunternehmen gestrichen und umfangreiche Förderungen aus öffentlicher Hand versprochen.

Kritisch sehen wir das Festschreiben religiöser Ansichten in einem staatlichen Dokument. Schließlich hat auch in Österreich die Säkularisierung stattgefunden, die Trennung von Kirche und Staat ist auch hier bereits vollzogen. Es wird um jeden Preis eine Abgrenzung gegenüber Andersgläubigen gemacht, die eines aufgeklärten, demokratischen Staates unwürdig ist.

Wir erwarten von einer Regierung, dass sie sich um Wohlstand und verbesserten Lebensstandard für alle Menschen einsetzt, besonders für jene im eigenen Land.

Wir erwarten von einer Regierung, dass ihr der Schutz der Schwächsten in der Gesellschaft ein wichtiges Anliegen ist, dass sie für Chancengleichheit für Alle eintritt und Absicherung und Verbesserung sozialer Standards als wichtigste Sicherheitsmaßnahme versteht.

Wir erwarten von einer Regierung, die im Vorwort ihres Regierungsprogramms im Jahre 2017 schreibt, sie wolle "Österreich fit für das digitale Zeitalter machen. Das beginnt in der Bildung und führt über die staatlichen Dienstleistungen bis hin zu all den Möglichkeiten, die uns moderne Technologien im Alltag bieten", dass sie sich kritisch mit den tatsächlichen aktuellen technischen Möglichkeiten und Gegebenheiten auseinandersetzt. Wir erwarten, dass diese Regierung den technischen Fortschritt versteht, beobachtet und die Folgen desselben für die Gesellschaft ebenso wie auch für jede/n Einzelne/n absieht.

Wir erwarten von einer Regierung, dass sie technische Möglichkeiten nicht ausschließlich vor dem Hintergrund größtmöglicher Überwachung betrachtet, sondern Datenschutz und das Menschenrecht auf Privatsphäre nicht nur achtet, sondern aktiv für jeden Menschen im Land schützt.

Wir erwarten von einer Regierung, dass sie die technologische Infrastruktur des gesamten Landes auf ein zukunftssicheres Niveau bringt, das es ermöglicht, auch in 20 Jahren noch im oberen Drittel aller Innovations- und Industrienationen mitzuschwimmen. Das gilt insbesondere auch in nicht-urbanen Gebieten, in welchen aber ebenso Menschen innovative Ideen für Start-Ups haben und umsetzen können sollen.

Ein Regierungsprogramm, das sich an überholten Weltbildern des 18. bis 20. Jahrhunderts orientiert, das Gräben im sozialen Gefüge schafft oder vertieft und Technik vor allem als Hilfsmittel der Überwachung sieht, lehnen wir aus tiefstem Herzen ab.

About

Seit 2005 gilt für den Chaos Computer Club:
„Wir sind eine galaktische Gemeinschaft von Lebewesen, unabhängig von Alter, Geschlecht und Abstammung sowie gesellschaftlicher Stellung, offen für alle mit neuen Ideen.
Wer jedoch mit Ideen von Rassismus, Ausgrenzung und damit verbundener struktureller und körperlicher Gewalt auf uns zukommt, hat sich vom Dialog verabschiedet und ist jenseits der Akzeptanzgrenze. Wer es darauf anlegt, das Zusammenleben in dieser Gesellschaft zu zerstören und auf eine alternative Gesellschaft hinarbeitet, deren Grundsätze auf Chauvinismus und Nationalismus beruht, arbeitet gegen die moralischen Grundsätze, die uns als Club verbinden.“

Referenzen:


  1. Zitat Norbert Hofer: "Sie werden sich noch wundern, was da alles möglich ist." 

  2. Hans Köchler: Das Verhältnis von Religion und Politik in Österreich und Europa